Bastelcamp 2023 Rutorgruppe
Ein stilles Bike Abenteuer.
Viele Alpinisten lassen den Gletscherstock der Rutorgruppe mit seinem (nur) 3486m hohen namensgebenden Gipfel Testa del Rutor eher links liegen. Locken doch in direkter Nachbarschaft scheinbar attraktivere Ziele: nördlich, immer in Blickweite liegt das Montblanc Massiv, südöstlich der Gran Paradiso Nationalpark. Wir waren beeindruckt von der Schönheit einer einsamen Gletscherlandschaft mit dutzenden Seen und gewaltigen Wasserfällen.
Am Start waren dieses Jahr Joe, Chrystoph, Isi, Marco, Martin, Jörg, Raphael und zu unser aller Freude Jan, den es beruflich von Lindau nach Traunstein verschlagen hat.
Station machen wir im Ortsteil Bonne der Gemeinde Valgrisenche, dem Hauptort des gleichnamigen Tals auf 1800m, oberhalb des Lago di Beauregard. Das Valgrisenche ist ein wildes und einsames Tal, kulturell und sprachlich spannend. Hier ist der frankoprovenzalische Umgangsdialekt (auch arpitan genannt) stark ausgeprägt. Die Region Aostatal bekennt sich mit Ihren Amtssprachen italienisch und französisch offiziell zur Zweisprachigkeit.
Obwohl wir uns in Lindau alle überpünktlich trafen, lief die mit 6 Stunden angesetzte Anfahrt nicht rund. Der DAV Bus bewegt sich nicht, wir müssen die vollgepackten Autos wieder umpacken. Die 45 Minuten Verspätung bescheren uns dann später Stau am Luganer See.
So werden wir spät am Mittwoch Abend in unserer Unterkunft, dem Hotel Perret (zu empfehlen), von der Chefin Claudia und Ihren Abendgästen in einem wunderbaren Mischmasch aus italienisch, französisch und arpitan freundlich begrüßt.
Rifugio di Angeli
Am Freitag beschließen wir, zur Rifugio di Angeli aufzusteigen. Diese liegt wie ein Adlerhorst mit fantastischem Blick auf einer Felsnase auf 2916m Höhe. Falls es die Schneeverhältnisse zulassen, wollen wir auf der Felsnase noch soweit wie möglich an den Rand des Morion Gletschers. Bereits im Aufstieg haben wir ausreichend Schneefelder und schnell wird klar, das bei der Rifugio Schluss ist. Bei Brotzeit, Cappucino, Coke und einem Lied von Jörg auf der Gitarre - diskutieren wir die Abfahrtsvarianten. Der Normalweg mit SACT2 ist zu einfach. Wir fahren von der Hütte ein Stück Steilstufe ab, um die Direttissima zu inspizieren. Die schaut die ersten Höhenmeter mit SACT4 toll aus, wird dann aber über 30 Höhenmeter unfahrbar/unspottbar. Nach einer Seilversicherung geht’s leider nur über langweiliges Wiesengestöpsel weiter. Also entscheiden wir uns für den landschaftlich sehr schönen “Aussichtsbalkon”, vorbei am Lago Morion und der Becca dell’Aouille. In der Steilstufe hinab zum Weiler La Betthaz gibt es dann auch einiges zum Basteln. Auf den 200 Höhenmetern zurück zur Unterkunft machen wir noch Stopp im Hauptort Valgrisenche und gönnen uns dort am Dorfplatz Eis, Kaffee und Coke.
Rifugio Deffeyes / Rutorgletscher
Für den kommenden Tag steht das vermutliche Tourenhighlight auf dem Programm. Dazu müssen wir leider 1h Anfahrt in Kauf nehmen. Wir wollen von La Joux im La Thuile Tal über Gletscherpfade und die Rutor Wasserfälle erst zur Rifugio Deffeyes und von dort zum Passo Alto steigen. Der Aufstieg ist ein wunderschöner Gletschersteig mit Steinplatten und Stufen. Auf halber Höher wechseln wir zum größten Wasserfall Rutor III. Die Steilstufe ist garniert mit Stahlstufen und hat einige Seilsicherungen - jeder macht sich hier so seine Gedanken darüber, ob das wie geplant eine mögliche Abfahrt wäre. Im Aufstieg wirkt es eher abschreckend. Am Ende der Steilstufe erwartet uns eine wunderschöne Hochebene (Pian de la Lière) mit mäanderndem Bach und Gletschersee, umrahmt von Wasserfällen und einer imposanten Geschleif Stufe.
Auf der Rifugio machen wir Mittagspause und steigen dann weiter in Richtung des seenreichen Val Sospesa zum Passo Alto. Diese Route hatten wir auch als Abfahrt vorgesehen. Aufgrund des Wegzustandes disponieren wir um und gehen Richtung Passo Planaval und Rutorgletscher (der Passo Planaval im Gletscherbereich ist seilversichert mit SACT5 und lt. unserer Recherche nicht biketauglich). Über schönes Steinplattengelände arbeiten wir uns dann zur ersten Steilstufe hinab zum Lago dei Seracchi. Dieser Part mit SAC T4 hat einige Herausforderungen zu bieten - die 100 Höhenmeter Stufe beschäftigt uns gut 1 Stunde. Schon etwas geplättet gehen wir die zweite anspruchsvolle Steilstufe an, zurück zur Hochebene Pian de la Lière. Danach haben wir 2 Abfahrtsmöglichkeiten und splitten nach Abstimmung in 2 Arbeitsgruppen auf. Joe, Marco, Isi und Martin wagen erfolgreich die Abfahrt in der Wasserfall Steilstufe, der Rest bastelt auf dem Normalweg nach unten und baut ein paar Trial Sessions ein. Mit wenigen Minuten Abstand treffen wir uns in der Bar am Parkplatz und runden den Abend in einer netten Pizzeria in La Thuile ab. Das angekündigte abendliche Gewitter vertreibt uns dort und wir fahren zurück zur Unterkunft. Wir sind uns einig - die lange Anfahrt hat sich mehr als gelohnt.
Lago di Fond / Colle de la Crosatie
Der nächste Morgen begrüßt uns mit Regen und wir starten gechillt in das nächste Abenteuer. Wir lassen die Blechhaufen am Hotel stehen und rollen die 350hm talabwärts zum Ausgangspunkt in Planaval/La Clusaz. Bei der Anfahrt sehen wir die gewaltige Steilstufe und können uns wieder mal nicht so richtig vorstellen, das wir hier später mit dem Bike abfahren können. Der schöne Lago di Fond liegt im Aufstieg noch in Wolkenfetzen, aber auf dem Joch reißt der Himmel auf und schenkt uns eine schöne Aussicht aufs gegenüberliegende Montblanc Massiv. Die Abfahrt hinab zum See ist wieder mit SAC T4 ausgewiesen und fordert volle Konzentration. Im überraschend warmen See gönnen wir uns ein erfrischendes Bad und voller Energie nutzen wir jede Steinplatte und jeden Felsblock für Trial Einlagen. Die Steilstufe durch die Felswand geht erstaunlich leicht, der Weg ist gut eingebettet. Auf den 350 Höhenmetern zurück zur Unterkunft stachelt uns Tour (de France) Amateurkommentator Jan trotz müder Beine und Gelächter zu Höchstleistungen und Sprints an.
Becca di Quattro Denti
Am vierten Tag backen wir wegen der langen Heimfahrt kleinere Brötchen. Wir entscheiden uns für die 1000 Höhenmeter hinauf zur Becca die Quattro Denti, gut erkennbar schon vom Talboden durch die 4 Felszähne und das vorgelagerte Gipfelkreuz. Pünktlich um 13:30 schließen wir mit einem Bad im Fluss und einem alkoholfreien Bier ab und machen uns glücklich und zufrieden auf den Heimweg.
12 Jahre Bastelcamp
Bei der Heimfahrt lassen wir 12 Jahre Bastelcamp Revue passieren. Das Bastelcamp ist unverändert unser Lieblingstourformat. Bereichernd durch das gemeinschaftliche intensive Natur- und Gruppenerlebnis, das Austesten von Grenzen, das Lernen voneinander mit gegenseitiger Hilfestellung, viele ernste und lustige Gespräche.
Autor: Raphael Boos